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Kindergartenlehrerin aus der Schweiz auf Reisen: Warum Kindergarten kein Kinderspiel ist

  • Autorenbild: Livia Walker
    Livia Walker
  • 5. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Nov.

Ein ehrlicher Einblick in das Leben einer Kindergartenlehrerin aus der Schweiz: Zwischen Lärm, Lachen, Chaos und Kinderherzen und warum eine Auszeit manchmal der mutigste Schritt ist.


Livia, eine erschöpfte Kindergartenlehrerin aus der Schweiz, sitzt müde im Klassenzimmer – ein ehrlicher Moment, der den fordernden Alltag zwischen Lärm, Verantwortung und Kinderlachen zeigt.


Heute nehme ich euch mit in eine Welt, die viele von aussen als „Ach, da spielt man halt ein bisschen mit Kindern“ abtun. Tja, es ist nicht ganz so. Oder sagen wir’s direkt: Kindergartenlehrerin zu sein ist ein Vollzeitjob für Herz, Kopf, Hände, Ohren und Nerven.


Mein Alltag zwischen Knete, Chaos und Kinderherzen


Ich heisse übrigens Frau Walker. Oder besser gesagt: FRAAAAU WALKEEERRR!!! So hallt es jedenfalls den ganzen Tag durch unser Klassenzimmer. Und glaubt mir: Es ist nie nur ein Kind. Es sind meistens alle. Gleichzeitig.

Mit einem echten Notfall wie: „Gianfranco hat meine Duplosteine angefasst!“, „Mein Kleber ist leer!“ oder mein persönlicher Favorit: „Ich muss Pipi. Aber ich bin schon gegangen.“

 

Der Tag beginnt früh. Wenn ich um 07:00 Uhr ins Kindergarten­zimmer komme, habe ich schon Kaffee getrunken, als gäbe es keinen Morgen mehr (ironisch, weil es genau das ist, der Morgen).

 

Ich lüfte, sortiere Bastelmaterial, stelle Lernaufgaben bereit und begrüsse die ersten kleinen Energiebündel, die bereits mit 120 % Motivation in den Tag starten.

Während ich versuche, mit einem Kind zu sprechen, hängt mir das nächste schon am Bein, und ein drittes will wissen, wann genau der Samichlaus kommt (es ist Juni.)



Zwischen Wutanfällen und Wundermomenten


Ich erkläre die Welt: „Nein, man darf keine Spinnen mit in den Kindergarten nehmen. Ja, auch wenn sie deine Freundin ist.“

Ich begleite Wutanfälle liebevoll: „Ich weiß, dass du zuerst in die Bewegungsecke wolltest.“

Ich tröste verletzte Knie und gleich noch verletzte Gefühle: „Sie hat gesagt, mein Bild ist komisch.“

Gleichzeitig schreibe ich Beobachtungsbögen, bereite Elterngespräche vor, organisiere Ausflüge, telefoniere mit Eltern („Nein, niemand hat heute das Klettergerüst angezündet, das war wohl ein Missverständnis.“) und denke daran, dass wir keine Bügelperlen mehr haben. Und Kleber. Und Papier. Und … meine Nerven?



Die leise Erschöpfung


Psychische Belastung? Ja. Absolut. So ehrlich muss man sein: Es ist anstrengend. Nicht körperlich im Sinne von „schwere Kisten schleppen“, sondern auf eine Art, die tief reingeht. Emotional. Mental.

Weil du die Verantwortung für so viele kleine Menschenherzen trägst. Du gibst ihnen Sicherheit, Struktur, Aufmerksamkeit und bekommst dafür oft ein strahlendes Lächeln. Aber auch Schreie, Trotz, Tränen. Und all das gleichzeitig. Dauerhaft. Ohne Pause. Während dein eigener Akku langsam rot blinkt.

 

Ich liebe meinen Beruf. Aber es gibt Tage, da sitze ich abends im Auto und starre einfach zehn Minuten ins Nichts. Oder ich weine. Oder ich lache, weil mir ein Fünfjähriger heute gesagt hat: „Du hast Haare wie ein Hamster.“ Danke auch.



Pause drücken


Jetzt, nach fünf Jahren Dauerbelastung, fünf Jahren Lärmpegel auf Baustellen-Niveau, fünf Jahren voller Verantwortung, Fürsorge und „Frau Walker!“-Momenten … bin ich müde. Richtig müde.

 

Jetzt heisst es: Rucksack packen statt Bastelmaterial. Deshalb gönne ich mir nun eine Auszeit. Ein ganzes Jahr.

Ein Jahr ohne Turnbeutel-Chaos, ohne vergessene Znüniböxli und ohne die ewige Suche nach verschwundenen Spielsachen.

Stattdessen: Reisen. Loslassen. Neue Perspektiven. Und endlich mal wieder ich sein, nicht nur Frau Walker.



Neustart mit Herz


Ich hoffe, in diesem Jahr meine Batterien wieder aufzuladen. Nicht nur mit Schlaf (obwohl der ganz oben auf der Liste steht), sondern mit neuen Erfahrungen, Weitblick und einem Rucksack voller Inspiration.

Und ja, ich will zurückkommen. Aber nicht müde, sondern mit neuer Kraft. Voller Energie, Herz und vielleicht sogar mit einem neuen Lied für den Morgenkreis.



Warum ich es trotzdem liebe


Trotz allem: Ich würde nichts anderes tun wollen.

Warum ich es liebe? Weil jedes Kind, das sich bei mir sicher fühlt, ein kleiner Weltgewinn ist. Weil ich sehe, wie sie wachsen. An sich, aneinander, an der Welt. Weil ich oft der erste Mensch ausserhalb der Familie bin, dem sie (manchmal früher, manchmal später) wirklich vertrauen.

Und weil ich weiss: Mein Job verändert Leben. Auch wenn meins dabei manchmal auf Pause gestellt wird.



Mein Wunsch


Was ich mir wünsche? Mehr Wertschätzung. Faire Bezahlung. Zeit für Planung, Räume zur Regeneration.

Und Verständnis dafür, dass ein Kindergarten-Tag kein „bisschen Spielen“ ist, sondern pädagogische Hochleistung unter Lärmstress und mit vollem Herzen.

Und vielleicht… einfach jemanden, der mich in den Arm nimmt, wenn ich diejenige mit dem Trotzanfall und den Tränen bin.



Zum Schluss


Bis bald, ihr Lieben! Und denkt beim nächsten Mal, wenn ihr eine übermüdete, verklebte, aber immer noch liebevolle Kindergartenlehrperson seht:

Diese Frau ist ein verdammtes Wunder.

Eure Frau Walker, mit Knete unter den Fingernägeln und ganz viel Herz.



Hast du selbst schon einmal eine Auszeit gebraucht? Schreib mir in die Kommentare, ich freue mich auf den Austausch!

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